Warum ist der Anteil der Frauen so hoch?

Zum einen geht man davon aus, dass Frauen schneller eine/einen Ärztin/Arzt bei Krankheiten und Beschwerden aufsuchen, da sie erstens durch regelmäßige Besuche bei GynäkologInnen (Menstruation, Verhütung, Schwangerschaft) schon früh regelmäßigen Kontakt zu ÄrztInnen haben und es ihnen zweitens auf Grund ihrer geschlechtsspezifischen Erziehung leichter fallen könnte über ihre psychische Probleme zu sprechen.

Zum anderen liegt es aber nicht nur an der geschlechtsspezifischen Sozialisation von Frauen, sondern auch an einer Gesellschaft, die immer noch von einer Sichtweise geprägt ist, die Männer als Maßstab versteht. So werden Medikamente häufig an jungen gesunden Männern getestet, ohne zu beachten, dass Frauen, Kinder und ältere Menschen Medikamente anders verstoffwechseln (der Hormonhaushalt spielt auch eine Rolle, so kann sich die Verarbeitung der Wirkstoffe in den verschiedenen Phasen des Menstruationszyklus oder in den Wechseljahren unterscheiden) , so erhalten sie häufig zu hohe Dosierungen.

Außerdem werden Frauen mit ihren Problemen oft nicht ernstgenommen, sie seien labil, würden zu Übertreibungen neigen, werden als hysterisch bezeichnet und müssten deshalb ruhig gestellt werden – mit Hilfe von Medikamenten. Eine Werbung (Pharmafirma Hoffmann LaRoche) für Benzodiazepine aus den 70er Jahren verdeutlicht das, was noch heute ein Blick auf Probleme von Frauen zu sein scheint, schaut man sich die Verschreibungszahlen an: „Keine Scheinlösung für Probleme, sondern eine Lösung für Scheinprobleme.“ Frauen bekommen wesentlich öfter Medikamente verschrieben, wenn sie von Schlafstörungen und psychischen Belastungen berichten als Männer, ihnen wird zum Beispiel eher zum Sport machen geraten.

Aber auch frauenspezifische Erfahrungen im Bereich der sexualisierten und häuslichen Gewalt, Traumata und ihre Folgen, wie Schlafstörungen, Depressionen, Angststörungen etc. führen dazu, dass Medikamente eingenommen werden, um Symptome zu lindern.

Außerdem trägt auch der gesellschaftliche Wandel dazu bei, dass die Anforderungen an Frauen immer höher werden. Immer mehr berufstätige Frauen leisten zusätzliche Arbeit in der „produktiven“ Sphäre bei bleibender Arbeit im „reproduktiven“ Bereich, das führt zur Doppelbelastung. Denn reproduktive Arbeit wird immer noch hauptsächlich von Frauen geleistet (Haushalt, Kindererziehung, emotionale Beziehungsarbeit, Essensversorgung, Pflege von Angehörigen, Fürsorge etc.). Sie erfahren wenig Entlastung von Partnern und von staatlicher Seite (Kita, Kinderbetreuung etc.). Medikamentenkonsum soll die Leistung erhöhen, um der Mehrfachbelastung standhalten zu können. Dieser bleibt sozial unsichtbar, lässt sich gut im Alltag integrieren und sorgt dafür, dass Frauen nicht aus ihrer Rolle fallen und funktionieren.